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Ode an den Druck

Posted in Allgemein, Biografische Schreiben, Text, Was wir schreiben with tags , on 13. Februar 2012 by bks6

Unser Leben als Bürger in einem durch die soziale Marktwirtschaft diktierten, freiheitlich-demokratischen und darüber hinaus auch noch sozialen Rechtsstaat wird leider zu oft dominiert von einem Begriff, der aus nur fünf Buchstaben besteht und zu allem Überfluss auch noch mehrdeutig ist: dem Druck. Es geht an dieser Stelle um die Art von Druck, bei dessen Vorkommen sich das Individuum in einer oder mehrerer seiner biopsychosozialen Dimensionen Scheiße fühlt.

Wir stehen in einem wechselseitig-ambivalenten Verhältnis zu dem Druck: Wir üben Druck aus, geraten selbst unter Druck, setzen wieder andere unter Druck, stehen unter Druck und machen Druck. Wir fühlen uns bedrückt, erdrückt, unterdrückt, drücken ab oder verdrücken uns, um uns einen Druck zu setzen, wenn der Druck zu groß wird. Wir alle haben einen Fingerabdruck und hinterlassen jede Sekunde einen womöglich bleibenden Eindruck, schließlich sind wir zum Kommunizieren verbannt. Jeden Tag werden wir konfrontiert mit einerseits Druck von außen wie Karrieredruck, öffentlichem Druck, dem Druck der Verhältnisse, Erwartungsdruck, Hochdruck, Tiefdruck, Überdruck, Unterdruck, luftdruckversiegelten Verpackungen, Kontrolldruck, Leistungsdruck, Verlagsdruck, sozialem Druck, Druckstellen am Körper, Tupperware mit Druckverschluss, Druck unter Wasser, auf die Ohren, im Flugzeug, auf die Muskeln, Gelenke und Knochen, dem zeitlichen, terminlichen, örtlichen, familiären, beruflichen, privaten, persönlichen, intimen und finanziellen Druck sowie den drückenden Schuhen. Andererseits verspüren wir Druck von innen wie Suchtdruck, Leidensdruck, Druckstellen an der Seele, Bluthochdruck, Kopfdruck, Krankheitsdruck, Magendruck, Gelenkdruck, moralischem Druck und dem Druck schlechthin (im Sinne einer unterdrückten Libido). Zu guter Letzt der völlig überflüssige Partialdruck – und das mit Nachdruck, von Zwang gar nicht zu sprechen!

Zusammenfassend bewegen wir uns freiwillig durch einen mehrheitlich negatives Kontinuum, ducken uns und laufen Gefahr, depressiv zu werden (lat. deprimere = niederdrücken).

Was können wir einfachen Frauen und Männer dagegen tun? Wir verlängern das Wort und tauschen das Dr gegen ein f, stopfen exakt acht kleine u’s in die Mitte und lehnen uns an eine jahrhundertealte Eiche. Anschließend halten wir dieses Lösungs- und Entspannungswort über mehrere Sekunden hinweg, wobei es uns offensteht, Tonhöhe und Betonung zu variieren. Nun denn, auf drei. Eins, zwei, drei: fuuuuuuuuuck!

Werwolf rastet aus

Posted in Allgemein, Biografische Schreiben, Text, Was wir schreiben with tags , , , , on 13. Februar 2012 by bks6

Ich trete aus meiner Wohnungstür und das Erste, was ich an diesem Abend zu sehen bekomme, sind die dümmlichen Gesichter von Jugendlichen, nein, eher Halbwüchsigen, die wohl nichts Besseres zu tun haben, als sich genau auf diesem, meinem Fleck Erde zu tummeln. Eine Make-up-Fassade dreht sich weg, fängt an zu kichern und quietscht in der Tonlage einer Kreissäge, wie hässlich das doch sei. Mit das meint sie wohl mich oder meinen Versuch, mich bei der Eiseskälte über meinen Stolz hinwegzusetzen und in meine russische Fellmütze zu graben. Ich überlege mir kurz, ob ich sie am Kragen packen und so lange schütteln soll, bis sich die Synapsen ihres Hirns zufällig verbinden, entscheide mich aber dagegen, weil mich der Gedanke irritiert, dass sich zehn dieser Dackel kläffend in meine Waden beißen.

Der Impuls zu Schütteln überkommt mich häufig. Neulich erzählte mir ein Freund, den was weiß ich was in die Jugendsozialarbeit getrieben hat, wie einer seiner halbwüchsigen Schützlinge den Versuch gewagt habe, den vierten Teil der eigentlich nicht nennenswerten Twilight Saga zusammenzufassen, nämlich so: „Vampir poppt Frau. Frau wird schwanger. Baby frisst Frau. Vampir beißt Frau. Werwolf rastet aus.“ Am liebsten würde ich sie alle so lange durchschütteln, bis irgendetwas Gescheites bei ihnen herauskommt, vergleichbar mit der Shufflefunktion eines iPod-Nano, der durch das Schütteln zufällig zu einem anderen Programm springt. Wie ein Schüttelei, ein Daunenfederkissen oder ein Milchshake. Es gibt so viele Beispiele, bei denen erst geschüttelt werden muss, bevor sich die Auseinandersetzung damit lohnt – ich frage also die Fachwelt: Warum nicht bei Jugendlichen? Werwolf rastet aus.

Nach sieben Tagen

Posted in Biografische Schreiben, Text, Was wir schreiben with tags on 12. Februar 2012 by bks6

Stille. Er wacht auf. „Ich war schon mal um halb acht wach“, sagt er „da war auch schon so schönes Wetter.“ Er geht ins Bad. Plumps. „Oh!“ Plumps. „Oh!“macht er, die Tür hat er nicht geschlossen. Er füllt den Raum, er fasst alles an, stellt Dinge um und dazu. Er stellt mein Fahrrad verkehrt herum auf den Küchentisch, schraubt, redet, schraubt, erklärt, schraubt, rät, schraubt, sagt, er habe einfach meistens Recht, Menschen, die ihn kennen, wüssten das. Er nickt und schiebt sich ein Brot, mit weit abgewinkeltem Arm, in seine linke Mundhälfte, die Wange wölbt und spannt sich. Dann dehnt er die rechte, um das Brot in einem Stück in seiner Mundhöhle aufnehmen zu können. Er spült mit einem großen Glas Orangensaft, klatscht in die Hände, sagt vor dem Haus: „Na, dann komm. Fahren wir mal los!“ Fünf Meter später fragt er: „In welchem Gang fährst du?“ Er umkreist mein Rad mit seinem, um sich die Frage selbst zu beantworten. Er macht Klein-Jungen-Rennfahrer-Geräusche und lächelt über die Schulter. Dann ein LKW, den er nicht sieht. „Brumm Brumm“, dann knacken seine Knochen, dann ist wieder Stille.

Markt der Metaphern

Posted in Allgemein, Kreatives Schreiben, Schreibpädagogik, Studium, Text, Was wir schreiben with tags , on 7. Februar 2012 by bks6

Werte Mitschreiber,

mir geht das Herz auf, vor lauter Freude über Eure schillernden, metaphernreichen Kommentare. Geht’s noch blumiger? Bestimmt, aber abgesehen davon, dass ich mich wirklich über die Resonanz freue, konzentriere ich mich heute auf den Kommerz, denn Metaphern sind ein Markt, wusstet Ihr das?

Das teuerste, wissenschaftliche Buch, das ich über Metaphern finden konnte, ist für 139,00 € zu haben. Es heißt „Poetologische Metaphern“ von Katrin Kohl und untersucht die Bedeutung von Metaphern in der Literatur.

Es gibt Apps, wie das „Oxford Dictionary of Idioms“ oder eine Stressbewältigungs-CD, die man herunterladen kann – beide unter der Überschrift „Metaphern“.

Klickt man bei der Google-Suche nach Metaphern auf „Maps“ erscheint die Liste mit dem überraschenden Namen „Metaphern in der Nähe von Berlin“. Darunter finden sich z.B. Praxen für Psycho- oder Ergotherapie, ein Practicioner für wen oder was?, eine Filmproduktion, das Café Bilder Buch und eine Agentur für Graphik-Design. Wenn es auf den ersten Blick absurd erscheint, so macht es auf den zweiten Blick Sinn, dass unterschiedliche Bereiche der Gesellschaft und Wirtschaft sich die Vorzüge von Metaphern zunutze machen. Was sind die Vorzüge?

Anstatt jetzt selbst an einer eigenen Theorie zu basteln, lese ich erst mal nach, was andere dazu schon erdacht haben:

Wikipedia erklärt:

Metaphern werden vorwiegend aus folgenden Gründen gebraucht:
• … weil für die gemeinte Sache kein eigenes Wort existiert. – Bsp. „Stuhlbein“
• … weil … die bezeichnete Sache als … negativ bewertet wird und durch einen unverfänglicheren Ausdruck umschrieben werden soll. – Bsp. „von uns gehen“ statt „sterben“
• … weil ein abstrakter Begriff durch einen anschaulicheren Sachverhalt versinnfälligt werden soll. – Bsp. „Zahn der Zeit“
• … weil diejenige sachliche Eigenschaft, auf der die Ähnlichkeit beruht, besonders hervorgehoben werden soll. – Bsp. „der Löwe von Münster“ für C-A von Galen zur Betonung seiner kämpferischen Haltung im NS-Widerstand
(Ende Wikipedia-Zitat)

Seht ihr jetzt klarer als vor der Lektüre dieser Liste? – Es gibt also mindestens vier Anlässe, Metaphern zu gebrauchen. Ich picke mir einen raus, nämlich den, dass ein Sachverhalt versinnfälligt werden soll.

Das Wort wird von meinem Rechtschreibprogramm rot unterkringelt. „versinnfälligen“ kennt es nicht, zumindest nicht in der dritten Person Singular. Kennt es „vergegenständlichen“? Ja. – Den Gedanken, dass mit Metaphern Schwammiges versinnfälligt wird, finde ich schön, den kann man gewissermaßen essen.

Etwas Abstraktes wird konkret
Etwas Diffuses wird griffig
Etwas Ungenaues wird spezifisch
Etwas Unklares bekommt Konturen
Etwas Präzises bekommt eine sinnliche Note

Man könnte meinen, Metaphern erleichtern die Verständigung, weil sie Worte in einem gedachten Bild bündeln. Meine Erfahrung ist aber, dass – gerade im Berufsleben – eine metaphernreiche Sprache eher irritiert. – Ein Beispiel: Es scheint angemessener zu sein zu sagen „Das Gutachten stellt das Problem einseitig dar“, als „Das Gutachten hat einen Linksdrall“. Linksdrall? Obelix, was meinst Du damit?

Was meint ihr, sollte man den Gebrauch von Metaphern bestimmten Bereichen vorbehalten? Wie reagieren andere, wenn ihr „in Metaphern“ redet?

Das muss ich jetzt erst mal verdauen. Missklänge gehen mir durch Mark und Bein. – Was mich auf die Idee bringt, beim nächsten Mal Metaphern zu untersuchen, die sich auf den Körper beziehen.

Lasst die Sonne und Metaphern in Eure Herzen, Obelix

Kleines Pech

Posted in Text, Was wir schreiben with tags , , , , , , on 24. Januar 2012 by bks6

Es ist ja nicht so, dass das kleine Pech vorüber geht, nur weil einen großes Unglück getroffen hat.

Einen Tag vor seinem achten Geburtstag wurde das Fahrrad meines Sohnes geklaut, er hatte es im Jahr davor zu seinem siebten Geburtstag geschenkt bekommen. Wir hatten es nach dem Laternelaufen, erschöpft und froh, dass wir diesen ersten Gemeinschaftsausflug seit dem Tod unserer Tochter überstanden hatten, in der Schule vergessen. Und am nächsten Tag war es weg- ich konnte es nicht fassen.

Mein Portemonnaie war mir auch abhanden gekommen. Ich wertete das nicht als Pech, das hätte ich so kurz nach J. Tod nicht verwunden, sondern als Neuanfang. Schließlich war ich nicht mehr dieselbe, da kam ein neuer Personalausweis gerade recht, redete ich mir gut zu.

Es ist das kleine Pech neben dem großen Unglück, dass mir manchmal die Beine wegzieht. Der ausbleibende Arbeitsauftrag, ein Schnupfen, der nicht weggeht. Meine kleine Große, die nicht in die Kita will und mich beim Abschied kaum ansieht. Dass ich morgens genau in dem Moment in die Kita komme, als K. das Neugeborene einer strahlenden Mutter begrüßt. Der verlorene Handschuh, der zerknickte Schreibblock, das versalzene Essen.

Natürlich bin ich seit J. Tod dankbarer für kleines Glück. Es gelingt mir, mehr im Augenblick zu sein, Kleinigkeiten wert zu schätzen und Probleme zu relativieren. Nur will ich das nicht müssen, um J. Tod einen Sinn zu geben. Wenn mich das kleine Pech schon nicht auslässt, will ich mich auch darüber ärgern dürfen, will manchmal kleinlich und genervt sein- so wie alle anderen auch.

Blutleer

Posted in Allgemein, Geschichte, Studium, Text, Was wir schreiben with tags , , on 23. Januar 2012 by bks6

Sanierte Altbauten, Biobäcker, Lesecafés versprühen Großstadtcharme und heile Welt. Eltern kutschieren ihre Kinder in Holzkästen, die sie vor ihr Fahrrad montiert haben. Die Kinder tragen bunte Funktionskleidung, knabbern an Dinkelreiswaffeln, haben rosige Bäckchen und sehen gesund aus. Sie heißen Franz und Johanna.

Ich verlasse meinen vertrauten Kiez, lasse die Hipster hinter mir und steige die Treppen zur U-Bahn hinab. Vom Asia-Imbiss weht mir ein modriger Geruch entgegen. Ich steige in die U5 stadtauswärts. Ungewohnte Richtung.

In der U-Bahn riecht es nach verschüttetem Bier, mein Sitznachbar verströmt rauchigen Atem. Nach und nach steigen die modernen Großstadtmenschen aus und neue Menschen zu. Es scheint eine andere Spezies zu sein. Blasse Gesichter, ihre Blicke sind leer, blutleer. Ihre Haare sind stumpf gefärbt, ihre Klamotten im Militarylook gepimpt. Bereit zum Kampf? Die Stimmung ist weniger entspannt, als noch ein paar Stationen vorher im vertrauten Bereich. Mütter mit lackierten Fingernägeln steigen ein. Ihre Kinder tragen keine Funktionskleidung, sondern Kik. Sie heißen Justin und Sherley. Sie essen Pommes statt Äpfel.

Das Tageslicht, dem die U-Bahn nun entgegenfährt, fördert die offensichtlichen Unterschiede noch mehr zu Tage. Augenringe statt Apfelbäckchen.
Endstation Hellersdorf.

Hier soll mein Bildungszentrum sein? Hier soll ich Kreatives Schreiben lernen, meine Fantasie sprühen lassen, wissenschaftlichen Output erzeugen?

Hier gibt es Hartz IV statt urbane Penner, Bedarfsgemeinschaft statt Studenten-WG, Playstation statt digitale Boheme.

Ich betrete den Eingangsbereich der Alice-Salomon-Hochschule – gesäumt von rauchenden Studenten. Hier bin ich nun. Das Rot der Schule erquickt mich, der blutrote Stoffbeutel als Erkennungsmerkmal und Abgrenzung zum Außenbezirk verströmt Energie in dieser blutleeren Gegend. Inselgefühle.

Ich bin in einer Parallelwelt gelandet und versuche mich zu integrieren bzw. integriere die Parallelwelt in mein Leben.

Äpfel werde ich weiterhin essen und meine Regenjacke trage ich auch.

Ich schaue in den Spiegel: rosige Bäckchen im dristen Winterregen.

– Mädchenseele –

Über das Schreiben

Posted in Kreatives Schreiben, Text, Was wir schreiben with tags , , , on 23. Januar 2012 by bks6

Ich liege wach. Im Inneren meines Kopfes läuft alles auf Hochtouren. Pläne, Ideen, Geschichten, To-Do-Listen rattern durch mein Gehirn.

Es tanzt in meinem Kopf. Gedanken schwingen im Rhythmus, wechseln sich ab. Ein Schlagabtausch ohne Brüche, ohne Pause. Wie von Zauberhand verschmelzen die Getränkenstränge. Synapsen legen Schalter um. Alles scheint miteinander verknüpft zu sein, ineinander überzugehen. Ich fühle mich bestens unterhalten von meinem Kopf.

Geteilte Freude ist doppelte Freude. Ich möchte andere am Schauspiel in meinem Kopf teilhaben lassen. Wie kommen all diese scheinbar genialen Gedankenstränge hinaus in die Welt? Ich bediene mich des Schreibens, vorzugsweise mit Bleistift und Papier. Für alles andere bin ich zu schüchtern.

Und schon ist eine Unterbrechung da. Angst macht sich breit. Angst davor den Stift in die Hand zu nehmen. Angst nicht alles erfassen zu können. Die Gedanken fließen nur gefiltert aufs Papier. Sie sehen anders aus als in meinem Kopf. Durch irgendein Schlüsselloch verengt, zwängen sie sich mühsam hinaus, um vom Stift wieder aufgereiht zu werden. Wo ist der Rhythmus und die Melodie und die Schwingung?

Plötzlich sind es nur noch Fragmente, wo soeben noch ganze Gedankensymphonien rauschten.

Irgendwo sitzen die Zensoren, die verknöcherten Filter, die (noch) nicht alles passieren lassen. Meine Gedanken sind frei, doch noch nicht für die Welt dort draußen.

Ich begebe mich auf die Suche nach dem Schlüssel und dazu bedarf es erstmal Übung.

– Mädchenseele –

Vom Stürzen und Stolpern

Posted in Allgemein, Biografische Schreiben, Kreatives Schreiben, Studium, Text, Was wir schreiben with tags , , , , on 16. Januar 2012 by bks6

Bis tief in die Nacht hatte sie sich in den Text über Hörstürze gestürzt, um dann endlich mit leeren Kopf und schweren Augenlidern ungelenk wie ein schwerer Käfer auf das Hochbett zu krabbeln. Sie hatte gehofft, schon bald wohlige Zuflucht in Morpheus‘ Armen zu finden.

Doch die tumben Techno-Bässe aus einer nicht allzu entfernten Wohnung wummerten sich in ihr Trommelfeld. „Hörstürze sind oft mit Tinnitus verbunden und oft Stress assoziert“ – so hatte sie den Doktor, den „Experten“ eben noch zitiert. Help me, help me, Doctor Beat, dachte sie, drehte sich auf die rechte, drehte sich auf die linke Seite. Doch das Wummern hörte nicht auf, und auch Morpheus liess sich nicht blicken. In ihrem Kopf kämpften noch kurz die sich scheidenden Geister, bis sich sich aufmachte, die wackelige Leiter wieder herunterkletterte, ein paar Kleidungsstücke aufpickte, die im Flur herumlagen, und wahllos wie Zwiebelschalen über ihre, bereits am Körper befindliche Kleidung zu stülpen.

Die Nachteule und Freundin der tiefen Bässe war bald ausgemacht. Es war die hippieske Schönheit aus dem Erdgeschoss, die kürzlich ihren Hund ins Tierheim gegeben hatte. Merkwürdig, sonst hatte die junge Dame mit den rotgefärbten Haaren eher esoterisch angehauchte, sanft klingende  Weltmusiktöne gehört und das ganze Haus mit dem Duft ihrer Räucherstäbchen aus Sandelholz erfüllt. Immerhin zeigte sie sich die Nachteule kooperativ und nur wenge Minuten später konnte sie sich endlich an Morpheus‘ ätherischen Körper schmiegen.

Geweckt wurde sie von mehren Weckerintervallen, dem Umtreiben eines desorganisierten Teenagers und dem Blick auf die Straße draußen, deren winterliche Morgendunkelheit von kleinen, weißen Stellen durchbrochen war, die vom ersten Schnee in diesem Jahr erzählten. Doch der winzige Hauch der Poesie wurde schnell von Alltagsprosa weggehaucht, und die Müdigkeit der durchgearbeiteten Nacht zuvor legte sich sich wie ein Bleibmantel über ihr Gemüt. Nichts konnte sie richtig wachküssen an diesem Tag. Nicht die neuen Schuhe, die der Bote brachte und ihr das Blut in den Fusszehen wie Fesseln zuschnürte. Ruckedigu, Blut ist im Schuh. Nicht der Latte Macchiato aus dem Coffeeshop. Und nicht einmal jener Mann, den sie in diesen Tagen vielleicht würde wiedersehen können. Den sie wahrscheinlich zum Umstürzen bringen und der auch sie ebenso gut zu Fall bringen könnte. I might be falling for you, flüsterte sie. Doch bis sie ihn wiedersah, stolperte sie sich erst einmal weiter durch den Tag, weiter durch ihr Leben.