Vom Stürzen und Stolpern

Bis tief in die Nacht hatte sie sich in den Text über Hörstürze gestürzt, um dann endlich mit leeren Kopf und schweren Augenlidern ungelenk wie ein schwerer Käfer auf das Hochbett zu krabbeln. Sie hatte gehofft, schon bald wohlige Zuflucht in Morpheus‘ Armen zu finden.

Doch die tumben Techno-Bässe aus einer nicht allzu entfernten Wohnung wummerten sich in ihr Trommelfeld. „Hörstürze sind oft mit Tinnitus verbunden und oft Stress assoziert“ – so hatte sie den Doktor, den „Experten“ eben noch zitiert. Help me, help me, Doctor Beat, dachte sie, drehte sich auf die rechte, drehte sich auf die linke Seite. Doch das Wummern hörte nicht auf, und auch Morpheus liess sich nicht blicken. In ihrem Kopf kämpften noch kurz die sich scheidenden Geister, bis sich sich aufmachte, die wackelige Leiter wieder herunterkletterte, ein paar Kleidungsstücke aufpickte, die im Flur herumlagen, und wahllos wie Zwiebelschalen über ihre, bereits am Körper befindliche Kleidung zu stülpen.

Die Nachteule und Freundin der tiefen Bässe war bald ausgemacht. Es war die hippieske Schönheit aus dem Erdgeschoss, die kürzlich ihren Hund ins Tierheim gegeben hatte. Merkwürdig, sonst hatte die junge Dame mit den rotgefärbten Haaren eher esoterisch angehauchte, sanft klingende  Weltmusiktöne gehört und das ganze Haus mit dem Duft ihrer Räucherstäbchen aus Sandelholz erfüllt. Immerhin zeigte sie sich die Nachteule kooperativ und nur wenge Minuten später konnte sie sich endlich an Morpheus‘ ätherischen Körper schmiegen.

Geweckt wurde sie von mehren Weckerintervallen, dem Umtreiben eines desorganisierten Teenagers und dem Blick auf die Straße draußen, deren winterliche Morgendunkelheit von kleinen, weißen Stellen durchbrochen war, die vom ersten Schnee in diesem Jahr erzählten. Doch der winzige Hauch der Poesie wurde schnell von Alltagsprosa weggehaucht, und die Müdigkeit der durchgearbeiteten Nacht zuvor legte sich sich wie ein Bleibmantel über ihr Gemüt. Nichts konnte sie richtig wachküssen an diesem Tag. Nicht die neuen Schuhe, die der Bote brachte und ihr das Blut in den Fusszehen wie Fesseln zuschnürte. Ruckedigu, Blut ist im Schuh. Nicht der Latte Macchiato aus dem Coffeeshop. Und nicht einmal jener Mann, den sie in diesen Tagen vielleicht würde wiedersehen können. Den sie wahrscheinlich zum Umstürzen bringen und der auch sie ebenso gut zu Fall bringen könnte. I might be falling for you, flüsterte sie. Doch bis sie ihn wiedersah, stolperte sie sich erst einmal weiter durch den Tag, weiter durch ihr Leben.

6 Antworten to “Vom Stürzen und Stolpern”

  1. zeitreisende Says:

    …ich denke seit gestern ständig an Käfer:-)

  2. zeitreisende Says:

    kleine Käfer, große Käfer, schwarze Käfer, VW Käfer, Käfer Kaffee, Marienkäfer, Borkenkäfer, Maikäfer, krabbelnde Käfer, Mistkäfer, Rüsselkäfer,Blattkäfer, Maiskäfer, Pelzkäfer, Kornkäfer, fliegende Käfer, Käfer Käfer Käfer…Tag zwei mit Käfern im Kopf.

  3. zeitreisende Says:

    mein Ohrkäfer:-)

  4. zeitreisende Says:

    rosenmontagskäfer

  5. zeitreisende Says:

    der heutige Tag steht ganz im Zeichen der Zeitfensterkäfer. Ich weiß noch nicht, wie ich sie einfangen kann…hmm.

  6. zeitreisende Says:

    der Käfer der Erkenntnis will nicht fallen

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